(aus: Graswurzelrevolution #286 vom Februar 2004

www.graswurzel.net)

 

Widerstand gegen neoliberale Großprojekte

„Ohne Respektierung des Basiswillens gibt es keinen Frieden!“

Zum Thema Plan Puebla Panama (PPP), seinen Auswirkungen und der Widerstand der betroffenen Bevölkerung, befinden sich Dorit Siemers und Heiko Thiele seit Anfang September 2003 in Honduras, Guatemala und Mexiko. Sie recherchieren für einen Dokumentarfilm zu diesem Thema. Luz Kerkeling arbeitet an einem Buch, in dem es u.a. um den Widerstand gegen neoliberale Großprojekte gehen wird. In San Cristobal de las Casas/Chiapas traf Johannes Plotzki die drei und fragte sie nach ihren Erfahrungen.

 

Interview

Graswurzelrevolution: Luz, von was wird Dein neues Buch handeln?

Luz Kerkeling: Das Buch soll den Widerstand gegen neolibe­rale Megaprojekte in Südmexiko und die mit solchen Projekten einhergehende Marginalisierung und Repression darstellen. Da­bei wird der Fokus auf funda­mentaloppositionelle Gruppen mit anderen Utopien und Visionen gerichtet sein. Von besonderem Interesse war für mich, mit Gruppen zu sprechen, die weniger bekannt sind. So erhoffe ich mir im bescheidenen Maße an der Geschichtsschreibung von unten mitwirken zu können. Bei der Recherche ist es mir wichtig, möglichst oft den Organisationen selbst das Wort zu geben.

Die Orte meiner Recherche liegen in den mexikanischen Bundesstaaten Oaxaca, Guerrero und Chiapas. Die Grundthese des Buches lautet: Ohne Respektierung des Basiswillens wird es keinen sozialen Frieden in Mexiko geben, da viele Gruppen sehr entschlossen sind.

GWR: Dorit und Heiko, was wird der Inhalt Eures Filmes sein?

Heiko Thiele: Das Konzept des Films ist die Betrachtung deutscher Unternehmen und ihrer kapitalistischen Interessen im Rahmen des Plan Puebla Panama. Anfangs geben wir eine kurze Einführung in die Mechanismen des Welthandels. Also: was ist die WTO, was bedeutet Liberalisierung der Weltmärkte, was ist Neoliberalismus. Im nächsten Teil greifen wir drei Bereiche des sogenannten PPP heraus, die diese Strukturen verdeutlichen, also in die Tiefe gehen. In den knapp 5 Monaten unseres Aufenthaltes in Honduras, Guatemala und Mexiko haben wir die industrielle Shrimps-Zucht, Staudammprojekte und Maquiladoras, also freie Produktionszonen, näher beleuchtet. Durch Recherchen und Interviews können wir die gravierenden Auswirkungen belegen, die durch deutsche Konzerne oder Gelder verursacht werden.

Dorit Siemers: Des Weiteren wollen wir mit dem Film den Widerstand aufzeigen, der sich in den betroffenen Gemeinden organisiert. Über den Widerstand hinaus, sollen alternative Lebens- und Organisierungsformen den Film abschließen. Als Beispiel dafür haben wir die zapatistischen Gemeinden in Chiapas und ihre Projekte gewählt, wie z.B. eine Schuhmanufaktur, Frauenprojekte und eine Klinik.

GWR: Wie seht ihr den Konflikt in Chiapas und den hier von Militär und Paramilitärs ausgeübten ´Krieg niederer Intensität´ im Gesamtzusammenhang mit einer weiteren neoliberalen Umstrukturierung Mittelamerikas?

D.S.: Mit zunehmender Realisierung des Plan Puebla Panama oder anderer neoliberaler Projekte wird auch die Militari­sierung in dieser Region verstärkt werden, um die Investitionen und strategisch wichtige Gebiete zu schützen. So ist z.B. beim Bau von Staudämmen gleichzeitig damit zu rechnen, dass Militär in die Region geschickt wird.

L.K.: Die USA unternehmen große Anstrengungen, um die Militarisierung in Lateinamerika voranzutreiben. Dabei wird oft mit Drogenanbau und -handel, sowie Terrorismusbekämpfung argumentiert. Es ist jedoch offensichtlich, dass die USA im Kontext des gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens (ALCA = Area de libre comercio de las Americas) befürchten, seitens einzelner Regierungen nicht genügend Garantien für ihre Projekte gewährt zu bekommen, und dass Basisbewegungen nicht effektiv unterdrückt werden können.

H.T.: Dies lässt sich aktuell am Ausbau und der Errichtung von US-amerikanischen Militärstützpunkten in Mittel- und Südamerika beobachten. Z.B. sind kürzlich erneut über 1300 Soldaten im Norden Guatemalas stationiert worden.

L.K.: Verdeutlichen wir uns, dass der ALCA-Prozess für die Wirtschaft der USA wichtig ist, allein schon, um ein Gegengewicht zu den asiatischen und europäischen Wirtschaftsräumen zu bilden.

Zurück zu Chiapas: Die Auseinandersetzungen, die hier gerade stattfinden, sind symbolträchtig. Hier wird sich zeigen, ob Eliten von oben Bewegungen von unten nachhaltig besiegen werden. Unter dem jetzigen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox hat der Militarismus nicht signifikant abgenommen und auch strukturell wurde kaum etwas geändert. So wird von Menschenrechtsgruppen nach wie vor die Straffreiheit angeklagt. Verstärkt hat sich dagegen der sozioökonomische Aspekt der Aufstandsbekämpfung, also die gezielte Spaltung von Dörfern durch finanzielle Anreize für die regierungstreue Seite.

Ein weiterer verheerender Aspekt der Militarisierung ist - selbst zu so genannten ´Friedenszeiten´ bei alltäglicher Besetzung - die stattfindende Gewalt gegen Frauen, in Form von Prostitution, Belästigungen und Vergewaltigungen.

Nach Hinweisen, die ich in Gesprächen vor Ort erhielt, soll die mexikanische Bundesarmee außerdem in den internationalen Frauenhandel verstrickt sein.

GWR: In Chiapas sind es u.a. die zapatistischen Gemeinden in den autonomen Landkreisen, die ihrer Marginalisierung und Unterdrückung Widerstand und Selbstorganisation entgegenstellen. Wie sieht es in anderen Regionen aus, und womit haben die Betroffenen dort zu kämpfen?

L.K.: In verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten gibt es Widerstände, die heterogen sind, aber eines gemeinsam haben: Eine andere Form der Organisierung und Politik.

Z.B. im Osten des Bundesstaates Guerrero: Dort hat eine ´Policia Comunitaria´ die vorher bestehende korrupte und illegal praktizierende Polizei auf kommunaler Ebene weitgehend abgelöst. Die Bevölkerung hat damit die Konsequenzen daraus gezogen, dass die bis dahin bestehenden staatlichen Sicherheitskräfte für mehr Kriminalität, anstatt für weniger gesorgt hatten. Die Policia Comunitaria versucht, mit Wiedergutmachungskonzepten und dem Einsatz von Respektspersonen anstatt mit staatlicher Strafverfolgung zu arbeiten. Die stark zurückgehende Anzahl der Delikte zeigt den Erfolg.

Anderes Beispiel, der Bundesstaat Oaxaca: Hier gibt es viele Gruppen, vor allem am Isthmus, die Widerstand gegen den Plan Puebla Panama leisten. Die Gruppe UCIZONI zum Beispiel stellt juristische Unterstützung für solche Dörfer zur Verfügung, die von Großprojekten betroffen sind. Daneben organisieren sie Demonstrationen und haben auch schon Besetzungen durchgeführt und Baufahrzeuge beschlagnahmt.

Fast allen Gruppen, mit denen ich sprechen konnte, ist ein Bruch mit dem Parteiensystem gemeinsam, und - ähnlich wie bei den Zapatistas in Chiapas - ein starker Basisbezug. Viele beziehen sich auch positiv auf die EZLN, einige bedauern jedoch eine starke Fokussierung auf die Zapatistas. Allgemein ist zu beobachten: Die Tendenz der Widerstände ist steigend.

H.T.: Auch bei unseren Recherchen in Honduras und Guatemala haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich viele Menschen auf die Ideen des Zapatismus be­ziehen. In etlichen ländlichen Gemeinden sind die kollektiven Strukturen über die Jahrhunderte erhalten geblieben. Der Widerstand richtet sich dort konkret gegen die geplanten Großprojekte und Privatisierungen.

D.S.: In Honduras hatte ich den Eindruck, dass es eine starke Vernetzung von Gruppen gibt. Positiv aufgefallen ist uns, dass die anwesenden Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenkommen. So saßen bei einem Vernetzungstreffen VertreterInnen von Studierendengruppen, Campesino-Bewegungen, Indigena-Zusammenschlüssen, Gewerkschafts- und ArbeiterInnenverbänden an einem Tisch. Sie haben sich intensiv ausgetauscht und organisieren landesweite Blockaden und Demonstrationen.

H.T.: Durch landesweite Aktionen und deren Öffentlichkeitswirkung soll eine größere Transparenz geschaffen und der einseitigen Medienberichterstattung begegnet werden.

D.S.: In Honduras haben außerdem einige Gruppen angekündigt, ihre Ländereien bis aufs Äußere zu verteidigen.

H.T.: Für mich war auf unserer Reise besonders schockierend, wie kompromisslos die Nutznießer der Großprojekte die Subsistenzwirtschaft und die Lebensgrundlagen der betroffenen Gemeinden bedrohen und wahrscheinlich zerstören werden.

D.S.: Ja, so haben wir in Guatemala Dörfer besucht, die während des Bürgerkrieges niedergebrannt wurden, und nun sind seit Mitte der 90er Jahre die zurückgekehrten Flüchtlinge wegen des Baus der Usumacinta-Staudämme erneut von einer Vertreibung bedroht. In diesen Dörfern haben wir erlebt, wie das Land gemeinsam bewirtschaftet und Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Diese Menschen haben angekündigt, bei einer Räumung dem Staat durch Aktionen „möglichst stark zu schaden“, weil sie sagen, dass sie bei einer Vertreibung zum zweiten Mal ihre Lebensgrundlage verlieren würden.

GWR: Erfreulich, dass wir dazu sowohl durch ein aktuell recherchiertes Buch, als auch durch einen Dokumentarfilm in deutscher Sprache mehr erfahren werden. Erklärt doch bitte, wen Ihr mit diesen neuen Veröffentlichungen erreichen wollt und warum?

L.K.: Wir können viel von den Bewegungen hier in Lateinam­erika lernen: Basisbezug, Verständlichkeit der Sprache und Integrität. Viele Bewegungen, die sich trotz attraktiver Angebote nicht kaufen lassen. Außerdem gibt es Versuche, nicht mehr so stark zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen zu sektieren. Mein Anliegen ist es, den würdigen und legitimen Wi­derstand bekannt zu machen und gleichzeitig Ausbeutungsverhältnisse darzustellen. Jeder Mensch, der selbst in Deutschland arm ist, profitiert von kapitalistischer Globalisierung. Diese gilt es auch konkret zu benennen. Eine direkte Übertragbarkeit auf Europa ist nicht möglich und auch hier innerhalb der Bewegungen existieren viele Widersprüche. Wir konnten in einigen Gesprächen mit Gruppen in Mexiko den Fokus von den USA als alleinigen Sündenbock ein wenig auf die Rolle Europas, Asiens und auch die nationalen Kapitalisten umlenken.

D.S.: Für mich ist es wichtig, mit dem Film die Auswirkungen von kapitalistischer Globalisierung zu zeigen und dadurch den Begriff Neoliberalismus sichtbar und greifbarer zu machen. Der Film soll einführend in die Thematik sein. Wir wollen mit diesem nicht nur Veranstaltungen in der linksradikalen Szene machen, sondern ihn auch z.B. in Schulen, Gemeinden, Organisationen und Eine-Welt-Gruppen vorstellen.

H.T.: Mit dem Film wollen wir aufzeigen, wie Wohlstand funktioniert. Und zwar nicht durch die vielgerühmte deutsche Arbeitskraft, sondern durch jahrhundertelange Ausbeutungsverhältnisse. Wir wollen Verknüpfungen aufzeigen, um Geldkanäle trockenzulegen, die lediglich individuellen Reichtum vermehren.

D.S.: Mir ist es wichtig, der betroffenen Bevölkerung zuzuhören und ihnen das Wort im Film zu geben, weil gerade dieses in den meisten öffentlichen Medien nicht passiert.

 

Interview: Johannes Plotzki

 

(Der Film, wird auch ins Spanische übersetzt und den Gemeinden zugestellt. Er ist in Deutschland im Sommer 2004 zu bekommen.)

Luz Kerkeling, Soziologe, freier Journalist und Autor von: La Lucha Sigue (Der Kampf geht weiter) EZLN - Ursachen und Auswirkungen des zapatistischen Aufstandes (Unrast-Verlag, 2003), vgl. Rezension in GWR 285.

Dorit Siemers, Geographin mit Schwerpunkt Lateinamerika, arbeitete zuletzt u.a. zum Plan Puebla-Panama. Beide sind in der Gruppe B.A.S.T.A. in Münster aktiv.

Heiko Thiele, Filmemacher, drehte zuletzt einen Dokumentarfilm über die Erdöl-Pipeline in Ecuador, welche nicht zuletzt durch den aufgedeckten Großkredit der Westdeutschen Landesbank für Aufsehen sorgte.

Gemeinsam mit anderen haben die drei den alternativen Bildungsverein Zwischenzeit e.V. gegründet. Kontakt: liste@zwischenzeit-muenster.de

 

 

Hintergrundinfos zum Plan Puebla Panama (PPP):

Der Plan Puebla Panama (PPP) bezieht sich auf die zentralamerikanische Region zwischen Puebla (Bundesstaat von Mexiko) im Norden und Panama im Süden und gilt als Paradebeispiel neoliberaler Wirtschaftspolitik.

Er wird nach vollständiger Realisierung zu verheerenden Resultaten für die artenreiche Flora und Fauna und die dort lebenden Bevölkerungsgruppen führen. Die Region gilt als eine der artenreichsten weltweit und ist zu 52% mit Wald bedeckt, der eine hohe Biodiversität garantiert. Die für den PPP vorgesehene Fläche nimmt zwar nur 0,5% der Erde ein, beheimatet aber 7% aller bekannten Spezies. Laut Angaben der Interamerikanischen Entwicklungsbank sind mindestens 18% der dort lebenden Menschen Indigenas, wobei unabhängige Organisationen ihren Anteil höher einschätzen. Von der Gesamtbevölkerung Lateinamerikas leben 13% in der PPP-Zone.

Der vom ehemaligen Coca-Cola-Manager und heutigem mexikanischen Präsidenten Vincente Fox ausgearbeitete PPP wird bereits von den Regierungen in Guatemala, Honduras, Belize, Nicaragua, El Salvador und Panama unterstützt. Diese erhoffen sich davon eine koordinierte wirtschaftliche Stärkung ihrer Länder in den Bereichen Handel, Verkehr, Tourismus, Bildung und Umwelt. Die dafür geplanten und teilweise realisierten Projekte sind: Infrastrukturmaßnahmen, wie Straßen- und Hafenbau, die Errichtung weiterer Großstaudämme, der Ausbau der Erdölförderung, die Ausweitung der industriellen Landwirtschaft, die Erforschung und Vermarktung der biologischen Vielfalt, die industrielle Shrimpszucht, die Ansiedlung von Welt­marktfabriken (Maquiladoras), die Förderung der Gentechnologie, der Ausbau des Tourismussektors und die weitere Privatisierung von Staatsbetrieben.

Gegen einzelne Projekte des PPP gab es bereits seit deren Bekanntwerden Widerstand seitens sozialer Bewegungen, Campesino- und Indigenaszusammenschlüssen, sowie Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Teile von ihnen haben sich zum Netz: „Mesoamerica Resiste“ zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen den PPP Widerstand zu leisten. Dieser richtet sich im Wesentlichen gegen folgende drei Aspekte des Vorhabens, für das IWF, Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank ca. 9 Milliarden US-Dollar als Kredite zur Verfügung stellen:

1.) Der PPP führt zu massiven Umweltzerstörungen und Eingriffen in den Naturhaushalt. Dies sind die Folgen praktisch aller Projekte des PPP. So zerschneiden die geplanten Straßen Naturflächen und Ländereien, die Staudämme führen zur Überflutung weiter Gebiete und stören den biologischen Kreislauf, die Erdölförderung kontaminiert die Böden, Maquiladoras verunreinigen das Grundwasser durch hohen Chemikalieneinsatz, die Monokulturen laugen Böden aus und verringern die biologische Vielfalt, die agrarindustrielle Landwirtschaft setzt Pestizide ein und Shrimpsfarmen zerstören die Mangrovenwälder.

2.) Der PPP ist ein Beispiel für undemokratische Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg und führt zu sozioökonomischen Umwälzungen und Marginalisierung. So werden z.B. Gemeindeflächen durch Straßen zerstückelt, die dann privat betrieben, d.h. kostenpflichtig sein sollen. Staudammprojekte überfluten die Lebensräume indigener Bevölkerungsgruppen und kulturhistorisch bedeutsame Stätten. Die Ansiedlung der für den Weltmarkt produzierenden Maquiladoras fördert die Verdrängung der subsistenzorientierten Kleinbauern und lässt sie zu billigen Arbeitskräften für die transnationale Agroindustrie und Maquiladoras werden.

3.) Mit dem PPP geht eine Militarisierung der betroffenen Region einher. So wurde z.B. in Mexiko damit begonnen, die Landenge, den Isthmus, einer­seits infrastrukturell als Wirtschaftsschiene auszubauen und andererseits stark zu militarisieren. Ne­ben dem Schutz für Investitionen hat das Militär hier die Aufgabe, die Migrationsströme aus dem Süden in Richtung USA zu kontrollieren und andererseits ist somit eine verstärkte Militärpräsenz in genau jener Region erfolgt, in der die bäuerliche-indigene Bevölkerung als besonders aufständisch eingeschätzt wird.

 

 

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